Manche private Unfallversicherungen bieten Leistungen im Falle von Pflegebedürftigkeit an. Es ist wichtig zu wissen, dass Verträge, die vor 2017 abgeschlossen wurden, sich an den damals geltenden Einstufungsregeln nach dem SGB XII orientieren. Diese Regelungen ermöglichen in vielen Fällen die volle Leistung bereits bei der niedrigsten Pflegestufe. In den entsprechenden Versicherungsbedingungen heißt es dazu:
Die versicherte Person erhält während der Vertragslaufzeit aufgrund eines Unfalls oder wegen einer Krankheit eine Einstufung in die Pflegestufe l, II oder III nach deutschem Sozialgesetzbuch.“
Dafür genügte die Vorlage des entsprechenden Gutachtens der (gesetzlichen oder privaten) Pflegeversicherung, welches diese Einstufung bestätigt.
Die Reform des Pflegerechts im Jahr 2017 hat nun zu Schwierigkeiten mit dieser Eingruppierung geführt: Die Reform des SGB XII hat die bisherigen Pflegestufen (I, II, III) durch Pflegegrade von 1 bis 5 ersetzt. Die ehemalige Pflegestufe I entspricht nun dem neuen Pflegegrad 2. Dabei sind die Voraussetzungen für den Pflegegrad 2 geringer als für die frühere Pflegestufe I.
Doch wie beeinflusst diese Umstellung die Leistungen privater Versicherungen? Reicht nun eine Pflegebedürftigkeit im neuen Pflegegrad 1 oder 2 aus, um Anspruch auf Leistungen zu haben?
Hier kommt es oft zu Streit, da viele Versicherer die Leistung verweigern und nach wie vor die Voraussetzungen einer Pflegebedürftigkeit nach der alten Pflegestufe I fordern. Dies stellt für die Versicherten eine Herausforderung dar, denn die Begutachtungen für die gesetzliche oder private Pflegeversicherung erfolgen heute ausschließlich nach den neuen Pflegegraden.
Die Rechtsprechung zu diesem Problem ist nicht einheitlich. Ein Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein vom 24.06.2021 (16 U 73/21) stützt die Perspektive der Versicherungswirtschaft. Andererseits haben sich andere Gerichte auf die Seite der Versicherungsnehmer gestellt, darunter das Landgericht Bonn mit Urteil vom 28.04.2021 – 3 O 134/20 (Der Kläger wurde von Rechtsanwalt Dr. Alexander T. Schäfer vertreten) sowie das Oberlandesgericht Stuttgart mit Urteil vom 04.03.2021 – 7 U 342/20. Auch das Oberlandesgericht Köln (20 U 53/21) deutete an, eher zugunsten der Versicherten zu entscheiden. Ein Urteil blieb hier aus, weil der Rechtsstreit durch Vergleich beendet wurde. Eine endgültige Klärung wird dürfte sich damit erst ergeben, wenn der Bundesgerichtshof sich mit dieser Frage befasst wird.
Die Versicherer haben bei der Formulierung der Versicherungsbedingungen die damals geltenden Regelungen im Blick gehabt. Die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber diese Einstufungen ändern könnte, wurde dabei offenbar nicht ausreichend berücksichtigt. Denn wenn der Pflegegrad 1 oder 2 als Voraussetzung für die Pflegerente ausreicht, müssen die Versicherer häufiger zahlen als ursprünglich von ihnen gedacht.
Auf der anderen Seite steht das Vertrauen des Versicherten in die versprochene Leistung. Viele Versicherte gingen bei Abschluss des Vertrages davon aus, dass bereits bei einer Einstufung in die unterste Pflegestufe die Rente gezahlt wird – oft wurde damit auch von den Versicherern geworben. Dieses Vertrauen muss geschützt werden. Die Versicherer hätten die Möglichkeit gehabt, die Anspruchsvoraussetzungen präziser zu definieren. Stattdessen regelten sie lediglich die Einstufung in irgendeine Pflegestufe und verwiesen auf die Bewertung durch die Pflegeversicherungen.
In jüngeren Verträgen wird dieses Problem zudem nicht mehr auftreten, da diese Verträge nun eine eigenständige Definition der Pflegebedürftigkeit ohne Abhängigkeit von den gesetzlichen Regelungen enthalten.
Für diejenigen, die noch über eine Private Unfallversicherung mit Leistungen für den Fall von Pflegebedürftigkeit nach den alten Regelungen verfügen, könnte es ratsam sein, diesen Vertrag unangetastet zu lassen. Die Aussichten darauf, auch schon bei einem Pflegegrad 1 oder 2 die volle Rente zu erhalten, stehen nämlich gut. Viele Versicherer dürften zudem zögern, den Weg bis nach Karlsruhe vor den Bundesgerichtshof anzutreten, weil eine BGH-Urteil eine Präzedenzwirkung auch für andere Fälle hätte.