Das ARD-Magazin Panorama berichtete am 28.07.2011 über Rechtsanwalt Dr. Alexander T. Schäfer und ärztliche Behandlungsfehler.
Panorama Nr. 742 vom 28.07.2011
Behandlungsfehler: Wie sich Krankenhäuser aus der Verantwortung ziehen
Anmoderation
Anja Reschke:
Kennen Sie solche Meldungen aus der Zeitung? “Frau aus Versehen das falsche Bein operiert“ oder bei „OP Schere im Bauch vergessen“. Liest man immer wieder. Und solche groben Behandlungsfehler kommen tatsächlich auch immer wieder vor. Nun würde man ja meinen, ein Krankenhaus würde sich dann sofort entschuldigen und den Patienten großzügig entschädigen. Vor allem wenn der Fehler so eindeutig und klar ist. Aber weit gefehlt – wie Tina Roth bei ihren Recherchen feststellen musste.
November 2009: Regina C. hat ein Problem an der Schulter. Sie soll operiert werden. Um Verwechslungen auszuschließen, malt man ihr vor der OP noch einen Smiley auf die linke Seite.
Die Ärzte verwechseln dann auch nicht links und rechts. Sie verwechseln die Schulter mit dem Knie.
Schon halb unter Narkose fällt Regina C. auf: Da stimmt was nicht! Sie sollte doch eigentlich in sitzender Position operiert werden. Regina C. sagt das dem Anästhesisten.
O-Ton
Regina C.,
Geschädigte:
„Der wurde etwas stutzig, nahm noch einmal das Blatt von meiner Akte, zeigte es über meinen Kopf hinweg dem Pfleger und ohne ein Wort mir zu sagen, hat er dann gesagt, der Pfleger, jetzt werden sie schön schlafen und dann konnt ich nichts mehr sagen.“
Nach der OP – der Schock, als Regina C. aus der Narkose erwacht.
O-Ton
Regina C.,
Geschädigte:
„Dann stand die Schwester in grün gekleidet an meinem Bett...Bettzeug weggezogen und zeigte: Knie.“
Statt der kranken Schulter haben die Ärzte das Knie operiert, dabei Knorpelschichten entfernt.
Die bislang bewegungslustige Regina C. leidet monatelang unter den Folgen des falschen Eingriffs.
Eine angemessene Entschuldigung, sagt sie, habe sie vom Krankenhaus nicht bekommen. Und auch die Entschädigung war eher bescheiden: Knapp fünftausend Euro.
Das Krankenhaus sagt: Man habe die Sache der Versicherung gemeldet. Darüber hinaus, so der Geschäftsführer, habe man keine weitere Verantwortung für Regina C..
1
O-Ton
Joachim Finklenburg,
Klinikum Oberberg:
„Wir haben unseren Part erfüllt zu hundert Prozent und ich kann dann überhaupt nicht sehen, dass dem Krankenhaus da in irgendeiner Form etwas vorzuwerfen ist, außer dem Behandlungsfehler.“
Das Krankenhaus hat den „Fall C.“ an seine Haftpflichtversicherung abgegeben - wie die den Schaden reguliert, ist der Krankenhausverwaltung offenbar egal.
O-Töne
Joachim Finklenburg,
Klinikum Oberberg:
„Es ist ein Schadensfall wie jeder andere an der Stelle.“
Panorama: „So eine Nummer letztendlich, so aus der Sicht der Sicht der Verwaltung?“ „Aus Sicht der Verwaltung bitte ich noch einmal die Größenordnung zu sehen. Sie sind gar nicht... das kommt bei der Geschäftsführung gar nicht mehr an. Das ist einfach zu groß. Das können Sie bei einem solchen Konzern gar nicht handeln.“
Nur weil eine Haftpflichtversicherung die Sache „handelt“ ist das Krankenhaus also raus aus der Verantwortung? Chirurg Michael Imhof war selbst Oberarzt, arbeitet seit Jahren als Gutachter und kennt das Wegducken der Krankenhäuser
O-Ton
Dr. Michael Imhof,
Gutachter:
„Wenn es dann zu einem Behandlungsfehler kommt, zu einem vorwerfbaren Behandlungsfehler, zu Fahrlässigkeiten, dann ist es schon aus ethischen Gründen nach meinem Dafürhalten geboten, dass sich das Krankenhaus selbstverständlich weiter um diesen Patienten kümmert und es eben nicht damit belässt, dass das halt an die Versicherung übergeben wurde.“
Doch selbst die bundesweite Vertretung der Krankenhäuser sieht sich nicht in der Verantwortung. Die liege bei der Versicherung.
O-Ton
Georg Baum,
Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG):
„Auf das Rechtsverfahren, das dann zwischen Patienten und Versicherer stattfindet, können die Krankenhäuser keinen Einfluss nehmen.“
Was das für den Patienten bedeuten kann, musste auch Mirjana L. erleben. Nach einem schweren Sturz hatten die Ärzte auf dem Röntgenbild ihres Fußes einen Bruch übersehen.
O-Ton
Mirjana L.,
Geschädigte:
„Es wurde und wurde nicht besser. Ja, und dann die ständigen Schmerzen, Tag und Nacht. Das hat mir... irgendwie spürt man, dass das nicht normal ist.“
2
Sie wendet sich immer wieder ans Krankenhaus – doch dort wiegelt man ab, da sei nichts.
O-Ton
Mirjana L.,
Geschädigte:
„Dann habe ich das dem Arzt im Krankenhaus mitgeteilt und er hat gesagt: Na gut, sie können jetzt nicht Ballet tanzen – also das ist normal.“
Vier Monate lang leidet Mirjana L. an heftigen Schmerzen – bis endlich ein anderer Arzt auf die Bilder schaut – und den Bruch sofort erkennt. Weil der so lang nicht behandelt worden ist, ist nun eine komplizierte Operation nötig – mit schmerzhaften Folgen.
Das Klinikum übergibt den „Fall“ an die Versicherung - und die schickt Frau L. einen Brief. Man biete ihr „10 000 Euro als Risikovergleich“ – Frau L. solle einfach das beigefügte „Abfindungsformular“ unterschreiben. Ein lächerlicher Betrag: Ein Bruchteil dessen, was ihr tatsächlich zusteht.
Frau L. wird misstrauisch, geht zu einem Anwalt. Hätte sie das „Abfindungsformular“ unterschrieben, sie hätte jeden Anspruch auf eine angemessene Entschädigung verloren. Die Anwälte kennen solche Briefe der Versicherungen.
O-Ton
Alexander T. Schäfer,
Fachanwalt für Medizinrecht:
„Das ist in gewisser Weise fast ein kleiner Täuschungsversuch, weil dem Patienten teilweise gar nicht bewusst ist, was er mit dieser Erklärung eigentlich bewirkt.“
Die Versicherung findet, es sei ein faires Angebot auf Basis des damaligen Kenntnisstandes gewesen – und Mirjana L. hätte es ja nicht annehmen müssen.
Das Krankenhaus aber schämt sich heute für das Verhalten der eigenen Versicherung: Man habe diese fragwürdigen Briefe an Frau L. einfach nicht gelesen.
O-Töne
Panorama: „Sie kriegen doch Kopien von allen Vorgängen.“
Christof Kugler, Klinikum Frankfurt Höchst: „Das mag sein, aber Kopien, Schriftsätze müssen nicht nur abgeheftet werden, sondern sie müssen bearbeitet werden.“
Das habe man leider unterlassen, doch in Zukunft wolle man sorgfältiger sein. Warum Krankenhäuser lieber abheften als genau hinzuschauen, hat seine Gründe.
O-Ton
Dr. Michael Imhof,
Gutachter:
„Krankenhäuser haben ein natürliches Interesse daran, dass ihre Haftpflichtprämien natürlich nicht exzessiv in die Höhe gehen. Je höher die Schadensfälle und je häufiger solche Fälle sind, umso höhere Prämien müssen sie für ihre Haftpflichtversicherung bezahlen. Darin liegt einer der Gründe für mich, dass Krankenhäuser sich häufig recht passiv verhalten.“
3
Opfer von eindeutigen Fehlbehandlungen müssen sich nicht nur jahrelang mit Versicherungen streiten; das eigentlich verantwortliche Krankenhaus tut auch noch so, als sei es unbeteiligt an allem.
Mirjana L. hat jedenfalls nicht das Gefühl, dass sie jemals angemessen um Verzeihung gebeten wurde.
O-Ton
Mirjana L.,
Geschädigte:
„Ich höre von Ihnen, dass denen das leid tut. Ich meine – gut. Ja. Ich habe keine Entschuldigung gekriegt.“
Autoren: Tina Roth, Tamara Anthony, Gudrun Kirfel Kamera H.Hahn, C. Weber
Schnitt: Thomas Lehnhart, Irmgard Hintze